Gespräch zwischen unserem Chorleiter Arnd Peter und unserem aktivem Sänger Karl-Heinz Behr über die Freude am Singen und den besonderen Klang von Männerchören

 

Corona hat vielen Chören den Rest gegeben. Allerdings war manch ein Chor schon vorher zum Sterben verurteilt angesichts des fortgeschrittenen Alters der Chorsänger und des Mangels an Sängernachwuchs. Der Badische Chorverband verzeichnete 2021 555 Männerchöre. 2001 waren es noch 870. Tendenz weiter fallend. Rund 20% der Mitglieder und 10 % der Chöre sind zwischen 2005 und 2020 deutschlandweit verschwunden schätzt der Deutsche Chorverband. Um dem Chorsingen wieder neuen Schwung zu verleihen hat der Deutsche Chorverband das Jahr 2022 zum Jahr der Chöre ausgerufen.

Das Chorsingen selbst stecke allerdings nicht in der Krise, stellt der Musikwissenschaftler Friedhelm Brusniak fest. „Noch nie hat es so viele Chöre gegeben wie heute. Und die Lust am chorischen Singen nimmt zu“, vor allem in Projektchören, in Pop- und Jazzchören vorwiegend in den Städten. Betrifft das Chöresterben also vor allem die Chöre auf dem Dorf und hier vorwiegend die Männerchöre? Hat das möglicherweise mit einem ländlichen Strukturwandel zu tun, der den meisten anderen dörflichen Vereinen auch zu schaffen macht? Über die Freude am Singen und den Genuss, einen Chor zu dirigieren sprach Karl-Heinz Behr, selbst Chorsänger, mit Arnd Peter, 54, ausgebildeter Sänger und Klarinettist, Musiklehrer und Chorleiter von Männerchören auf dem Land.

 

Behr: Singst Du gerne? 

Peter: Ja, sehr gerne. Das hab ich schon von Kind auf gern gemacht

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Behr: Warum? 

Peter: Mit dem ganzen Körper Musik zu machen, das gibt einem eine besondere Erfahrung von Freiheit und es macht vielleicht sogar ein bisschen süchtig: Wenn man versucht, diesem perfekten Körpergefühl beim Singen immer näher zu kommen, dann hat das durchaus ein bisschen Suchtpotenzial im Positiven, sodass man es nicht mehr lassen kann. Das geht aber einem Bläser oder einem Pianisten oder einem Streicher ähnlich. Der Unterschied ist, dass die Stimme unser Instrument ist. Das ist noch unmittelbarer. Aber diese Freude am Singen, die sollte man schon im Kindesalter erleben, nicht erst im Männerchor.

 

Behr:Wo kann man früh diese Freude am Singen erleben, im Kindergarten, in der Schule? 

Peter:Das große Problem ist, dass die Freude am Singen vielleicht schon im Kleinkindalter in den Kindergärten und in den Grundschulen viel zu kurz kommt. Auch deshalb, weil Lehrer nicht mehr ausgebildet sind für dieses Fach. Man muss mit Kinderstimmen anders singen, als mit Erwachsenen. Man muss in einem anderen Tonumfang singen, sonst können die Kinder ihre Stimme nicht finden. 

Behr: Was heißt „die Stimme finden“? 

Peter: Eigentlich singt jedes Kind gerne. Wie das klingt ist erstmal zweitrangig. Auch gibt es eigentlich kein Kind, das nicht singen kann. Aber es gibt einen bestimmten Tonbereich, in dem man mit Kindern singen muss. Die Kinderstimme ist sehr Kopfresonanz geprägt. Wenn man zu tief oder zu hoch singt, wird es für Kinder problematisch. Daher müssen Lieder ausgesucht werden, die in diesem Tonumfang gesungen werden können. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist vielleicht, dass allgemein zu wenig gesungen wird, weil das die Generation der jetzigen Lehrer und Erzieher im Kindergarten auch nicht gemacht haben. Auch meine Generation hat wenig gesungen. Die Generation meiner Mutter ist mit dem Singen groß geworden, die singt heute noch gerne.

Behr: Kann jeder singen?

 Peter: Das Entscheidende ist erstmal, dass man es wirklich probiert. Ich versuche ja auch immer - vielleicht gelingt mir das nicht immer - dass jeder irgendwie mutig singen soll, dass keiner das Gefühl hat, er muss sich jetzt künstlich zurückhalten. Und dann kommt man mit der Zeit auch rein. Das dauert ein bisschen, aber jeder kann singen. Und gemeinschaftlich Singen ist nochmal so ein besonderes Gefühl, weil man ja Teil eines Ganzen ist. Allerdings muss man sich auch noch unterordnen, weil man ja versucht, zusammen einen homogenen Klang zu schaffen. Das gibt ein gutes Gefühl wenn´s funktioniert. 

Behr: Jeder Chor klingt anders. Liegt das daran, dass jede einzelne Stimme anders klingt? 

Peter: Jede Stimme ist etwas anders angelegt, die eine etwas größer, die andere etwas kleiner. Es kommt aber darauf an, wie der Chorleiter den Chor prägt, ob er auf einen großen Klang oder eher auf einen etwas feineren, sensibleren aus ist. Aber man muss auch die Lieder gut aussuchen, die ein Chor singen kann. Jeder Chor ist entwicklungsfähig. Man muss halt schauen: was passt zum Chor? Wo klingt ein Chor, was liegt ihm. 

Behr: Was macht mehr Freude: selber singen oder dirigieren.? 

Peter: Das kann ich wirklich mittlerweile gar nicht mehr sagen. Früher wollte ich einfach nur singen. Mittlerweile habe ich bemerkt: ich bin auch Teil des Chores, ich stehe nicht einfach davor. Wir machen immer gemeinsam Musik. 

Behr: Ist dirigieren anstrengend? 

Peter: der Chorprobe bin ich so fokussiert, ich vergesse alles dann und bin nur in dieser Musik. Andere Dinge drumrum sind weg. Und das ist ja auch das Schöne wenn man singt: diese ganzen Alltagsgeschichten, mit denen man so beschäftigt ist und Probleme, mit dem Weltgeschehen, das ist weg. Man setzt mit dem Singen, gerade jetzt in dieser Zeit, wo so ein fürchterlicher Krieg in Europa wieder ist, auch ein Friedenssignal, ein kleines. Das Singen ist etwas so Friedliches.  

Behr: Sind Männerchöre besonders? 

Peter: Ja, das würde ich schon sagen. Männerchöre haben einen anderen Klang, einen etwas wärmeren Klang als ein Frauenchor oder ein gemischter Chor. Ich bin eigentlich zum Männerchor eher zufällig gekommen. Eigentlich wollte ich eher Kirchenchöre leiten, weil ich da Messen und klassische Musik machen kann. Inzwischen habe ich aber festgestellt, dass mit den Männern zu singen etwas ganz Besonderes ist und man zudem in der Literatur auch sehr, sehr frei ist; man kann im romantischen Stil sehr viel machen, man kann aus der Klassik was machen, Unterhaltungsmusik, Evergreens, also eine Riesenbandbreite. Und das Image, das Männerchöre haben, dass nur so Heimatlieder gesungen werden und vielleicht romantisches Kunstlied, das stimmt ja heute überhaupt nicht mehr. 

Behr: 2022 ist das Jahr der Chöre, Chorfest in Leipzig - eine Chance für die Männerchöre? 

Peter: Ich bin mit einem Projektchor beim Chorfest in Stuttgart (2016) aufgetreten. Viele Chorsänger aus dem Hochschwarzwald haben mitgesungen. Wir hatten einen großen Chor, einen 60-Mann-Chor, und wir haben dafür auch intensiv geprobt. Das war schon ein sehr schönes Erlebnis so viele Chöre, auch ganz tolle Chöre, in Stuttgart zu hören. 

Behr: Gab dieses Erlebnis den örtlichen Chören neuen Schwung? 

Peter: Nein. Es sind Sänger in Stuttgart dabei gewesen, die nur für dieses Projekt zusammen kamen und das von vornherein gesagt haben. Damit habe ich ein bisschen Probleme: In einem Projekt kann nie so ein Ergebnis erzielt werden, wie wenn man wöchentlich probt. Ein Chor muss zusammenwachsen und das braucht Zeit. 

Behr: Was kann man tun gegen das Chöresterben? 

Peter: Man muss unbedingt Chornachwuchs kriegen. Das ist ein allgemeines Problem in unserer heutigen Zeit, das ist nicht männerchorspezifisch, das ist in Kirchenchören oder Schulchören genauso. In dieser hektischen und etwas stressigen Welt, in der wir leben, wöchentlich in so eine Probe zu gehen, das schreckt manchen ab. Deshalb muss man es irgendwie schaffen, Leute fürs Singen so zu begeistern, dass sie sagen: Ja, das tut mir gut, ich möchte singen. 

Behr: Aber Projektchöre, Pop- und Jazzchöre haben Zulauf. Liegt es vielleicht doch am veralteten Repertoire der Männerchöre, dass sich junge Leute nicht interessieren? 

Peter: In Stuttgart haben wir auch „An Tagen wie diesen“ von den Toten Hosen gesungen. Fragwürdig finde ich, wenn wir nur diese Sachen machen würden. Männerchöre können durchaus romantische Lieder aber auch moderne Unterhaltungsliteratur wie „Männer mag man eben“ singen. Es liegen ihnen sogar Gospels und Opernchöre, auch wenn es keine Riesenchöre. 

Behr: Schwierig für Sängernachwuchs scheint mir das Erscheinungsbild der Chöre: Pokale, Fahnen, Uniformen. 

Peter: Vielleicht hängt den Männerchören auch heute immer noch dieses verstaubte Image an, das man aus der Gründerzeit im 19. Jahrhundert kommt mit Vereinsfahne und Pokalen und Uniformen. Mit den Uniformen habe ich ehrlich gesagt auch so ein bißchen ein Problem. Wobei es natürlich wichtig ist, dass man Einheitliches anhat, aber ob es eine Uniform sein muss? 

Behr: Es droht ja nicht nur ein Sängermangel, es mangelt auch am Publikum. 

Peter: Man müsste vielleicht schon überlegen, wie man noch präsenter im Dorf wird und wie man noch mehr Aufmerksamkeit auf den Chor lenken kann. Man sollte versuchen, Leute neugierig zu machen, immer wieder präsent sein im Ort, immer wieder auftreten, auch in Gottesdiensten mit Doppelquartetten. Das wäre ausbaufähig.

 

Behr: Haben Männerchöre Zukunft? 

Peter: Männerchöre müssen unbedingt erhalten bleiben. Die sind schon etwas Besonderes. Das wird mir immer wieder, auch von Laien, gesagt: Ach wir mögen so gerne, wenn Männer singen. Das ist so ein besonders schöner Klang. Es hat so eine Wärme.